A Guy Called Gerald | |
Keyboards: Recording & Computer 07.05 July 2005 Page: 36 |
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Manchester 1988: In Tony Wilson's Club Hacienda lernt die britische Jugend gerade zu den Klängen von Chicago House das Raven, da schlägt „Voodoo Ray" auf der Tanzfläche ein wie eine Bombe. Pluckernde Percussion, die fette Bassdrum der 808 und ein spinnenbeiniger Synth-Loop, der einem groovenden Piano Platz macht, bis in der Mitte des Tracks eine Frauenstimme mit recht schrägen Ooh-hoos und Ah-yeahs ihren Gefühlen Luft macht. Disziplin und Extase, technische Abstraktion und die Wärme des Soul - die Grammatik des Manchester Rave, durchdekliniert von einem jungen Producer mit afro-karibischen Roots, der zu diesem Zeitpunkt noch bei seiner Mutter wohnt. Interview mit Gerald Simpson Siebzehn Jahre sind seither vergangen, und A Guy Called Gerald ist immer noch aktiv. Auf dem Berliner Label Stud!o K7 veröffentlichte er gerade sein aktuelles Album „To All Things What They Need". Gerald Simpson begrüßt mich in seinem Studio im Berliner Kunsthaus Tacheles. Nach seinem Umzug von Manchester nach London Mitte der Neunziger folgte eine Episode in New York, und nun ist Gerald Anfang 2004 in Berlin aufgeschlagen. „Ich realisierte in New York, dass das Umherziehen ein Teil meiner Natur ist. So wundert es nicht, dass der Mann heute lieber mit leichtem Gepäck reist. Vom dem Maschinenpark, den er über anderthalb Dekaden aufgebaut hat, fehlt jedenfalls jede Spur. Statt-dessen zähle ich zwei wuchtige Desktop-Computer und vier bis fünf verstreut herumliegen-den Powerboats, Turntables und ein eindrucksvolles Gerät zum 5.1-Mastering. In einer Nische befindet sich der Hauptrechner mit der Abhöranlage. Die Hardware-Komponenten der früheren Jahre sind als Softsynths und Plug-ins hinter der Benutzeroberfläche verschwunden. Alles wirkt sehr übersichtlich und effizient. „Es ist wie eine Rückkehr zu den Basics: Ich muss wieder lernen, mit sparsamen Mitteln meine Visionen durchzusetzen, genau wie damals: Als wir mit der 303 rumgemacht haben, wollten wir die Dinge in die Zukunft pushen. Und dazu gehörte, orchestrale Sounds mit den Mitteln zu kreieren, die wir hatten. Ich wollte einen Band-Sound, aber mit dem billigsten Material. Was dabei herauskam, waren die House-Strukturen, die Rave-Sounds, digitale Symfonik." „Der DX-100 hat den Sound geprägt. Er sah aus wie ein Casio-Keyboard, und die 303 sah noch kläglicher aus", erinnert sich Gerald Simpson und taucht noch etwas tiefer ab in die Vergangenheit: „Meine 303 hab ich für 50 Pfund gekauft, und ich wollte eigentlich keine, weil sie monoton war. Der Jupiter-8 war mein Traum, eine dicke, schwere Maschine. Damals gab es dieses Pre-MIDI-Ding namens ,Roland Sync', und ich dachte, ich brauche dafür Roland-Maschinen. Ich hatte erst mal eine 808, weil ich auf dieses Streetsoul-Zeug stand, das Anfang der 80er in England angesagt war." „Ich habe dann ein SH 101, die 303 und ein paar alte Roland-Synths zusammengesteckt und das Ganze von einem Sequenzer aus gesteuert. Es war eine sehr komplexe Angelegenheit. Du konntest nicht einfach loslegen, sondern musstest echt überlegen, was du da machst. Die digitalen Synthesizer damals waren auch eine Last, denn du konntest zwar die Samples manipulieren, aber es gab keine Fader und Knöpfe dafür wie bei den Analog-Synths. Die Analog-Sounds waren dreckiger, und das wollte damals ja keiner. Heute benutze ich die Softsynths, die Korgs sind gut, old school, und gut mit MIDI-Controller zu bedienen." Nach dem Erfolg von Voodoo Ray und dem Nachfolger „Pacific State", über dessen Credits Gerald in einen langen Dissens mit seinen ehemaligen Kollegen von 808 State geriet, verabschiedete sich Gerald vom House und vollzog aus reinem Experimentiergeist den Schritt zu Breakbeat. Er stimmt zu, dass die Erschwinglichkeit von Sample-Technologie daran eine gewissen Anteil hatte: „Du konntest damit Hip-Hop-Breaks in den Sampler packen und beschleunigen, ungefähr auf das Acid-Tempo 130. Deine 4/4-Bassdrum konntest du beibehalten, aber statt lauter Snares und Hi-Hats konntest du einen Break raufpacken. Früher hast du die Bassdrum auf 1, 5, 9 und 13 getan, und die Snare auf 5 und 13, lauter closed Hi-Hats auf jede Einzelposition. Dann hast du Play gedrückt und los ging's. Aber das war eben ein Netz, in dem du gefangen warst." „Die 909 war da ein großer Fortschritt. Ich wollte immer ein Live-Drummer-Feeling haben. Pacific State war das erste Stück, in dem ich die 909 benutzt habe. Die Bassline von der 303 wurde vom internen Sequenzer der 909 gesteuert, auf Maximum Swing, was ich seit zwei Jahren wollte, aber nicht konnte, weil mein Sequenzer die 808 war - und die hatte keinen Swing. Wenn du darauf noch Breaks packst, ist das eine völlig andere Welt, weil du die Snares variieren konntest. Mit dem Sampler konnte ich zwar auch die Snare auf 5 und 13 packen, aber die Snare war ein gesampelter Loop. Statt also nur die Snare zu benutzen, habe ich das ausgespielte Sample benutzt, ungefähr ein halber Takt, und schon hattest du ein ganz neues Fee-ling - und das Ganze noch multilayered, das ergab eine Art von Polyrhythmik. Als dann Funktionen wie Timestretching dazukamen, ergab sich die ganze Bandbreite der Möglichkeiten: Loops innerhalb von Loops, rückwärts laufende Teile - das wurde ein ganzes Orchester! Dabei war es nur der Rhythmus-Track." Mit dieser Ästhetik produzierte Gerald das weg-weisende Album „Black Secret Technology" - im Prinzip ein reines Drum-Album, inspiriert von seiner Liebe zu 70er-Jahre Fusion-Jazz von Chick Corea und Al Di Meola, mit futuristisch gestretchten Breakbeats, warmen Sounds von gesampelten Rahmentrommeln und Talking Drums, die diesen charakteristischen Unterwasser-Sound erzeugen, der bis heute sein Trade-mark geblieben ist. Auch auf „To All Things What They Need" gibt es diese Momente, in denen die Sounds unter die Wasseroberfläche abzusinken scheinen. In einem Prozess der produktionstechnischen Neuorientierung - dem Umstieg von Hard- auf Software - hat Gerald auf diesem Album die Stationen seiner Karriere noch einmal aufblitzen lassen: Detroit Techno der frühen Jahre, Breakbeat-Jazz der Mittneunziger, garniert mit exklusiven Stimmen von Ursula Rucker und Finley Quaye. Es wirkt retrospektiv und dennoch ganz gegenwärtig, vor allem aber völlig frei. [Author: Eric Mandel, Photos: Michael Felsch] |
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DE/CONSTRUCTED seit den späten 80ern ist Gerald Simpson ein Pionier der Elektronikszene. Sein Stil ist sehr vielseitig: mal entspannt elektronisch, mal housig, dann wieder mit Drum'n'Bass-Elementen versehen. Dazu treibende Grooves, jazzige Elemente, Dub-Fragmente und warme Flächen. Genau dieser Stilmix ist zu seinem Markenzeichen geworden. Dabei klingt es immer sehr weich und harmonisch, LoFi-Sounds und „Schmutz" sucht man hier vergebens. Auch auf seinem neuesten Werk „To All Things What They Need" wechselt er wieder zwischen vielen verschiedenen Stilen, wobei die erste Single „First Try" sehr elektronisch und straight ist. Aufgrund dieser Vielseitigkeit habe ich das Pattern als eine Mischung verschiedener „A guy called Gerald"-Ingredienzen angelegt. Sie finden es als Cubase-SX-2/3-Projekt, Logic-5.5-Song und als MIDI-File inklusive Drumsounds im Battery-Format auf der KEYBOARDS-CD. Der Drumgroove Neben dem Programming wird diesmal auch ein Layer aus verschiedenen Loops verwendet. Der programmierte Anteil besteht zu-nächst einmal aus Bassdrum und Snare, die mit einem typischen Breakbeat-Muster die Basis bilden. Die Bassdrum klingt sehr voll, und die Snare bekommt durch ein zusätzliches Clap-Sample einen knalligen Charakter. Das muss auch so sein, denn als Basis-Beat sollen sich die Sounds gut gegen die Loops durchsetzen. Die Hi-Hats (offen und geschlossen) spielen ein sehr rhythmisches Pattern, das eigene Akzente setzt und einzelne Snare-Schläge betont. Das Ride-Cymbal füllt dieses Pattern mit einigen Tricks auf: Zum einen bekommt der eigentliche Achtel-Groove durch ein Delay ein 16tel-Feel, zum anderen verleiht es dem Groove durch Panorama-Bewegungen mehr Raum. Dazu gesellt sich nun das Loop-Layer, das aus zwei Loops aus Native Instruments Intakt besteht. Solche Loop-Stapelungen eignen sich besonders gut, um Drum-Grooves zu variieren oder um aus Einzel-Loops einen neuen Groove entstehen zu lassen. Da die Unterkante schon durch die Bassdrum abgedeckt ist, sind die Bässe der Loops mit einem Low-Cut-Filter abgesenkt. Außerdem habe ich die Loops in Slices zerlegt und umarrangiert, damit sie zum Basis-Beat passen. Ein leicht auf LoFi getrimmter Break-beat, der auch durchs Panorma wandert, ein Drumfill, ein mit einem Phaser bearbeiteter Loop und das Groove-FX-Sample komplettieren den Drumpart. Neben Intakt seien auch weitere Sound-quellen erwähnt - etwa Spectrasonics Stylus RMX, mit dem sich im Handumdrehen komplexe Loop-Layer erstellen lassen, oder Sampling-CDs wie Überschalls Fast Farward Drum'n'Bass. Tonale Elemente Am markantesten ist wahrscheinlich das „Tune Tom", das den Subbass-Part über-nimmt. Der Sound besteht aus einem tief gepitchten Analog-Tom-Sample mit sehr langer Release-Zeit. Im Solo-Mode und mit Portamento gespielt entstehen die ungefähren Tonhöhen und Glides. Zur Bassfraktion gesellen sich noch eine 303-typische Bass-Line mit minimalem Delay und ein Akzente spielender „Deep Bass". Den harmonischen Part übernimmt das sehr mittig gefilterte Pad, es schafft eine schön emotionale Atmosphäre. Der gleiche Sound spielt auch die leise Pad-Melodie. Der „Casio Click" lockert das Pattern auf; es sind nur zwei Töne, aber mit einem Viertel-Delay und viel Panorama-Bewegung „veredelt" klingt es gleich viel interessanter. Die Synth-Sequenzen und das Arpeggio wurden mit einem Arpeggiator erzeugt. Unterschiedliche Positionen im Stereofeld und Delay-Effekte bringen Bewegung ins Spiel, sodass ständig irgendetwas im Track passiert. Dazu passt dann auch das rhytmische „Synth-Gezwitscher" im Mittelteil. Und zum Schluss Wie immer gilt: Was gefällt, ist erlaubt. Variieren Sie das Pattern, ändern Sie den Ablauf, schneiden, kleben, löschen Sie Parts oder fügen Sie Neues hinzu. Viel Spaß beim Experimentieren! [Author: Henning Verlage] |