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A Guy Called Gerald - Das Herz In Der Maschine
 
A Guy Called Gerald Unofficial Web Page - Article: Intro - Number 77 - A Guy Called Gerald - Das Herz In Der Maschine Intro
Number 77
September 2000
Page: 48
 
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A Guy Called Gerald. Seit anno dazumal gespenstert der Künstlername von Gerald Simpson durch die Geschichte der Clubmusik. Und doch ist er mehr als nur ein vager Mythos, schließlich gibt es eindeutige Beweise für seine Existenz in Form von Tonträgern: 1988 "Voodoo Ray". Und für 808 State schrieb er "Pacific State" - das dokumentiert ein Rechtsstreit mit seiner einstigen Band, an dessen Ende er als Autor des Stückes anerkannt wurde. Während seines späteren Hin und Her zwischen über- und Untergrund schrieb er drei Alben, von denen lediglich zwei veröffentlicht wurden. Das eigentlich zweite wurde von seiner damaligen Plattenfirma abgelehnt, weil die Absatzprognose nicht stimmte. Jetzt folgt das vierte Werk: "Essence" (Stud!o K7 / Zomba) - Autoren-Drum'n'Bass.

Gerald Simpson ist ein kleiner Buddha. Er lungert im Trainingsanzug am Tisch seines Hotelzimmers und stiert auf einen Kristall, als sei dieser seine spirituelle Mitte. Die Finger huschen fast zärtlich über den Laptop. Gerald Simpson lächelt gelassen. "Tanzmusik dreht sich für mich persönlich immer mehr im Kreis. Als ich anfing, konnte man machen, was auch immer man wollte. Heute ist es eher so, als müsste man sich an ein Regelwerk halten. Das erinnert mich an meinen Klavierunterricht. Wenn ich eine Note anschlagen wollte, mit der der Lehrer nicht einverstanden war, schlug er mir mit dem Lineal auf die Finger."

Aus seinem Lachen sprechen gut fünfzehn Jahre Erfahrung. Fünfzehn Jahre, in denen Simpson meist irgendwo vorne mitmischte in der Clubmusik. Die Begeisterung für Chicago und Detroit machte aus ihm einen der Acid-House-Pioniere Englands. Sein frühes Interesse an gebrochenen Rhythmen ließ ihn eines der ersten Jungle-Alben auf einem Major veröffentlichen. Als Drum'n'Bass explodierte, produzierte Gerald Simpson bereits nebenher Garage-Tracks. Heute ist er eher entspannt denn auf dem Weg zu neuen Ufern. Anstatt nach neuen Mustern zu suchen, schreibt er Songs. Inhalt statt Form. "Wenn das Werkzeug zum Hauptanliegen wird, neigen wir dazu, den Inhalt zu vergessen. Dann schafft man etwas, das nur wenige Menschen verstehen können. Es gibt sicherlich Menschen da draußen, die wie in 'The Matrix' den Code lesen können. Und es ist gut, dass es solche Menschen gibt. Aber irgendwann wird es langweilig.

Ich versuche alles von außerhalb zu betrachten, um es als Ganzes zu begreifen, anstatt nur einen DJ zu sehen und zu wissen, in welchem Tempo er auflegt. Dabei vergisst man all die Menschen, die sich extra schick machen, um auszugehen und zu tanzen. Man muss das aus der Perspektive der Alltagsmenschen betrachten, die nicht wissen, was BPM bedeutet. Viele Musiker vergessen, dass ihre Hörer keine Experten sind." In diesen schönen und schlichten Worten lauert der Verdacht auf Sinnfindungsschnock und den Versuch, versäumte Tantiemen einzustreichen. Wer jedoch Gerald Simpsons entspanntes Lächeln vom Typ "Elefantenmama trifft Yodo" sieht, weiß, dass in ihm, wenn auch vielleicht etwas naiv und verträumt, ein ganzes Herz schlägt. "Es ist interessant zu beobachten, wie wir alle herumhuschen und versuchen, etwas Besonderes zu kreieren, und am Ende doch alle den gleichen Weg gehen. Manchmal, wenn wir so herumhuschen, vergessen wir zu beobachten. Ich nehme mir die Zeit, die ich brauche. Selbst wenn das fünf Jahre sind, um ein Album fertig zu stellen." Mit "Essence" schickt A Guy Called Gerald das Frickeltum zu den Komparsen. Vor zwei Jahren hätte das Album formalen Ansprüchen im Drum'n'Bass genügt, heute hat es eben mehr Songschreiber-Attitüde und Seele – 21st Century Soul. Ursprünglich sollte es '95 als "Aquarius Rising" erscheinen, aber die Trennung von seinem Label Juicebox Records, das er Anfang der Neunziger gründete, und ein Umzug von Manchester nach New York zögerten die Veröffentlichung hinaus. "Ich wollte Musik schreiben, die näher an dem ist, was ich wirklich fühle. Der erste Schritt war, mit Sängern zu arbeiten." Auf "Essence" singen u. a. Louise Rhodes von Lamb, Wendy Page und Lady Kier. "Der nächste wird sein, das Instrumentarium, das bisher nur aus Samples und Loops bestand, durch orchestrale Instrumente zu ersetzen. Nicht konventionell, sondern eher so, als würde man elektronische Instrumente imitieren. Damit werde ich das nächste . Projekt beginnen." Gerald Simpson blickt aus dem Fenster und lächelt.

[Author: MA : K ARRENSMANN, Photo: FIREFLIES]